Alice im Wunderland
Rubrik: Bühnenmusik

„Stellen wir uns vor: Es ist Sommer. Es ist heiß. Alice liegt im Gras neben ihrer großen Schwester, die ein Buch ganz ohne Bilder liest – welchen Sinn sollen Bücher ohne Bilder letztlich haben? Vor lauter Sommer und Hitze und Langeweile wäre Alice beinahe eingedöst, wenn sie nicht ein weißes Kaninchen gesehen hätte, wie es eine Uhr aus seiner Westentasche zieht und eilig in einem Erdloch verschwindet. Neugierig folgt ihm Alice in den Kaninchenbau – und fällt, und fällt tief unter die Erdoberfläche in ein Land, das von sprechenden Tieren und lebendigen Gegenständen bevölkert ist. Jedenfalls tummeln sich dort lauter verrückte, zum Schreien komische und zum Fürchten bedrohliche Wesen: der Märzhase und die Grinskatze, der Hutmacher und die Herzkönigin, und viele andere. Auch Alice muss verrückt geworden sein, sonst wäre sie schließlich nicht hier unten, oder? Ihr Sturz aus heiterem Himmel in die unterirdische Wunderwelt konfrontiert Alice mit Fragen, die sie sich oben nicht ohne weiteres gestellt hätte: Wer ist sie eigentlich? Wer wäre sie ohne ihren Namen? Wo kommt sie her? Wo geht sie hin? Und vor allem: wie kommt sie hier jemals wieder raus?
Lewis Carrolls Roman aus dem Jahr 1865 ist ein Klassiker der Kinderliteratur und zugleich ein Klassiker der Nonsense-Literatur für Erwachsene. Wie kaum ein anderes Werk hat es Leser und Zuschauer durch alle Zeiten und alle Generationen begeistert, schon allein deshalb, weil seine tolldreisten Rätsel und Geheimnisse wohl niemals erschöpfend ausgedeutet werden können. Denn insgeheim wissen wir genau, dass unter unseren Schritten, und seien sie noch so fest und sicher, die Unwägbarkeiten einer fantastischen Unterwelt lauern, in die Alice uns einen ebenso verstörenden wie ermutigenden Blick werfen lässt. Denn: »Unter dem Pflaster liegt der Strand.“
Text: Staatstheater Stuttgart